Warum der Muttertag Hohn und Spott gleicht

Ich bin grundsätzlich kein Freund des Muttertags. Die kurzfristige Huldigung und Danksagung mit der anschließenden Rückkehr zum Normalprogramm stoßen mir schon in Jahren ohne Corona auf. Jetzt aber zur Coronazeiten finde ich es eine einzige Heuchelei.

An Mütter wird nicht gedacht

Der Muttertag – ein Produkt der Industrie

Der Muttertag kommt aus Amerika, 1923 haben es sich die deutschen Blumenhändler abgekuckt und Plakate mit „Ehret die Mutter“ in die Schaufenster gehängt. Die Nazis haben den Muttertag für ihre Zwecke instrumentalisiert und kinderreiche Mütter als Heldinnen des Volkes gefeiert. Vom Handel ins Leben gerufen, von den Nazis groß gemacht. Schon zwei Gründe, warum der Muttertag abgeschafft gehört. Das Datum haben die Deutsche Wirtschaftsverbände festgelegt (zweiter Sonntag im Mai). Da sieht man woher der Wind weht. Es geht nicht um die Mutter. Es geht um Profit.

Huldigt die Mütter! Kauft Blumen! Und Pralinen! Mütter sind so toll. Sie haben diesen Tag verdient und sollen gefeiert werden. Wenn du bei Google Muttertag eingibst, wirst du mit Anzeigen und Geschenkideen regelrecht bombardiert. Also kauft und schenkt und sagt danke. Aber nur kurz. Dann bitte wieder zurück zum Programm. Die Wirtschaft muss am Laufen gehalten werden. Ab Montag öffnen schließlich wieder alle Geschäfte. Ferienwohnungen können wieder bezogen werden. Bald auch Hotels. Da haben wir keine Zeit, um uns darüber Gedanken zu machen, wie die Kinder wieder geregelt in die Kitas kommen. Mama wird schon eine Lösung dafür finden.

Wo bleibt das Kita-Konzept für die Entlastung von Familien?

Ich bin so sauer! Ich sehe den Sinn nicht. Ich kann mit meinen Kindern in den Zoo, mit vielen Unbekannten. Bald kann ich mit meinen Kindern in den Biergarten, wo viele andere Menschen sind. Ich darf mit Ihnen auf den Spielplatz und bald darf ich sogar mit Ihnen schwimmen gehen und verreisen. Das steht alles schon fest. Und während es für die Bundesliga schon lange ein Konzept gibt, an dessen Umsetzung gefeilt wird, werden Eltern mit Kleinkindern von Termin zu Termin vertröstet. Während ich diesen Beitrag schreibe, warte ich auf die nächste Pressekonferenz, in der es vielleicht einen Fahrplan gibt.

Care-Arbeit unterbezahlt und nicht gewürdigt

Die letzten Wochen haben gezeigt, wie wenig Care-Arbeit und Familien mit kleinen Kindern in unserem Wirtschaftssystem zählen. Ich kann schon lange wieder in ein Autohaus gehen und mir dort einen Neuwagen kaufen (von welchem Geld eigentlich mit Umsatzeinbruch und Mann in Kurzarbeit?) und währenddessen wird darüber diskutiert, ob es eine Neuwagenprämie geben soll, weil es der Industrie so schlecht geht.

Geld fehlt im Bildungsbereich schon lange! In unserem Kindergarten wird seit Monaten im sogenannten Handlungsleitfaden gearbeitet. Das heißt, dass nicht alle Kinder betreut werden können, weil Personal fehlt. Zwei Stellen sind nicht besetzt und der Rest der Erzieherinnen arbeitet sich kaputt, folglich steigen die Krankentage. Mal ganz abgesehen von der unzumutbaren Situation für die Kinder, morgens nicht zu wissen in welcher Gruppe, mit welchen Kindern und welchen ErzieherInnen sie den Tag verbringen…

Mit den weitgehenden Öffnungen am morgigen Montag müssen auch viele Eltern wieder außer Haus arbeiten. Nicht jeder Job kann im Homeoffice erledigt werden. Gar kein Job kann mit kleinen Kindern im Homeoffice erledigt werden. Das zu verlangen straft alle ab, die sich um kleine Kinder kümmern. Da kommt es wieder das Stigmata der „nur“ Hausfrau und Mutter. Die macht ja nichts. Gleichzeitig würdigt es in keiner Weise die wertvolle (und anstrengende!) Arbeit der ErzieherInnen im Kindergarten. Das ist eine Arbeit, die man ja nebenher machen kann. Kann man nicht! Niemandem würde es einfallen, einen Bankangestellten zu bitten, eben noch gleichzeitig das Officemanagement während seiner Arbeitszeit zu erledigen, weil es gerade einen Engpass gibt. Natürlich ohne weitere Zahlungen.

Kinder sind ein Privatvergnügen

Dann kommt das Argument „Du wolltest doch die Kinder, also ist es dein Problem.“ Das Thema ist einen gesonderten Blogartikel wert. Wie funktioniert denn Gesellschaft? Wenn alle alt und krank sind und es keine Jungen mehr gibt? Wer kümmert sich um die Alten? Woher kommt die Wirtschaftsleistung? Wer erfindet neue Dinge und hält Deutschland wirtschaftlich an der Spitze? Eine Gesellschaft braucht Nachwuchs, damit sie funktioniert. Da geht es um mehr als um die Renten. Familien bringen dem Staat viel mehr, als dass sie ihn kosten. Der Benefit ist also für alle, die Last bleibt auf den Schultern des Einzelnen. Kein gutes Konzept, wie ich finde.

Ich schweife ab. Ich rege mich hier über die Heuchelei des Muttertags auf. Einmal im Jahr mal eben Blümchen kaufen. Ich meine da übrigens gar nicht die Väter und Kinder oder die Basteleien, die in Schulen und Kindergarten entstehen. Pardon, entstehen würden, wenn sie denn geöffnet hätten.

Mütter sind auf dem Arbeitsmarkt weniger wert

Ich meine damit die Industrie, die Werbung macht, damit wir alle Geschenke kaufen oder Kurztipps für die ausgelasteten Mütter. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie Mütter in Bewerbungsverfahren gleich behandeln. Mal von gerechter Bezahlung abgesehen. Wir sollen Wellness-Gutscheine und Kurztrips verschenken, damit Mütter sich erholen können, aber eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeit oder Eigenverantwortliches Arbeiten dann lieber doch nicht. Gleichen Lohn bekommen die Mütter (in diesem Fall auch alle Frauen) auch lieber nicht. Das ist dann doch zu teuer. So viel Wertschätzung muss nicht sein. Es reicht doch, wenn die Familie Blumen kauft.

Kommt eine Mutter aus der Elternzeit zurück ist die Wiedereingliederung anstrengend. Die Situation ist für alle neu. Meistens wird die Mutter allein gelassen. Sie bekommt weniger anspruchsvolle Aufgaben, weniger Aufstiegsmöglichkeiten, weniger Gehalt. Das ist seitens der Unternehmen sozial wie wirtschaftlich eine komplette Sinnlosigkeit. Es demotiviert, schwächt das Zugehörigkeitsgefühl und die Produktivität. Was Mütter durch Ihre Elternschaft lernen, wird nicht im Ansatz genutzt. Einmal im Jahr zum Blumenkauf anregen oder zum Beginn des Mutterschutzes einen Strauß Blumen kaufen, damit ist genug getan. Zurück zum Tagesgeschäft.

Frauen werden Kompetenzen abgesprochen, sobald sie Kinder bekommen. Aber, toll, dass sie Kinder bekommen. Ist ja wichtig für die Gesellschaft. So wichtig aber doch nicht, als dass man die Entlastung der Eltern in der Corona-Krise vorne anstellt. Oder wenigstens Mitdenkt. Die Bundeliga soll wieder starten. Den Vereinen geht es so schlecht. Und der Fan vermisst seine Samstagsroutine.

Vereinbarkeit sieht anders aus

Dass es Millionen von Alleinerziehenden Müttern da draußen gibt, die wirtschaftlich und psychisch am Ende sind, ist schlichtweg nicht auf dem Radar. Mir ist immer noch sehr lebendig ein Beitrag aus den Tagesthemen in Erinnerung. Eine Alleinerziehender Mutter dreijähriger Zwillinge im Homeoffice. Mir ist förmlich schlecht geworden, als ich der Frau zugehört habe. Sie kochte an einem Tag zweimal Essen, weil sie vergessen hatte, dass sie schon eine Mahlzeit vorbereitet hatte. Wenn man eine Versinnbildlichung von Überforderung braucht: bitteschön.

Das ist kein schönes Familienleben. Man kann keine gute Mutter sein, während man permanent überfordert ist. Man kann überhaupt nichts gut machen, während man an seiner Belastungsgrenze schwappt. Viele Frauen kommen mir ihrer Mutterschaft an eine Belastungsgrenze, schon ohne Corona. Die Kuranträge werden in die Höhe schnellen. Sind es doch in der Krise die Frauen, die den Laden am Laufen halten.

Familien haben keine Lobby

Mal ganz abgesehen von den Bedürfnissen der Kinder. Mein Fünfjähriger braucht Kontakt mit anderen Kindern! Neulich hat er im Garten mit unserem 10-jährigen Nachbarsjunge fangen gespielt. Mein Sohn war der Fänger (das Konzept haben sie sich übrigens selbst überlegt – Abstand halten wegen Corona). Also rennt mein Sohn eine Stunde völlig erfolglos dem großen Jungen hinterher. Abends sitzt er beim Abendbrot, mit leuchtenden Augen und geröteten Wangen. Er guckt mich ganz verklärt an und sagt „Mama, das war der schönste Tag in meinem Leben.“

Mich hat dieser Satz sehr traurig gemacht. Deutschland drückt die Bedürfnisse von Familien seit Wochen weg, weil das Leid im Kleinen stattfindet und nicht sichtbar ist. Wir haben keine Lobby, dabei sind Familien für eine Gesellschaft wertvoll und notwendig. Ja, es wird demnächst einen Plan geben. Ich habe dennoch den Eindruck bekommen, dass wir gesellschaftlich erst zählen, wenn Geldströme sichtbar werden.

Mütter haben mehr verdient

Mütter haben mehr verdient als einen von der Industrie ins Leben gerufenen Tag. Mehr Geld. Mehr Vereinbarkeit. Mehr Selbstbestimmung. Mehr Entlastung! Fang an und fordere es ein. Zusammen sind wir viele und mit vielen sind wir laut!

Für dein Kind ist übrigens jeden Tag Muttertag. Jedes begeisternde „Mama, guck mal.“ Wenn es etwas macht ist ein Geschenk für dich. Es möchte seine Freude mit dir teilen und deine Meinung ist ihm wichtig. Auch wenn es manchmal nervt und du deine Ruhe haben möchte. Nimm dieses Geschenk. Und fordere von deinem Arbeitgeber mehr Geld, von der Gesellschaft mehr Anerkennung. Sei stolz und laut.

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